In der Nacht ist es noch sehr windig geworden. Leon ist deswegen noch ein paar Mal aufgewacht. Außerdem machte ihm sein Hals sehr zu schaffen. Mit der Sonne entschied er sich aufzustehen. Zum Frühstück verzehrte er die restlichen Nudeln vom Vorabend, um Zeit zu sparen, die Nudeln nicht einpacken zu müssen – und außerdem ist ein reichhaltiges Frühstück auch gesund! Er konnte schon sehr früh los.
Nach ein paar hundert Metern, die er noch bergauf kraxeln musste, ging es erst mal lange bergab. So lange, bis er den Flusslauf in der Sohle des Tals erreichte. Das Tal wurde weiterhin immer schmaler.
An einer der schmalsten Stellen des Tals baute sich vor ihm eine weitere riesige Staumauer auf. Auf dem Schild war zu lesen, dass das Wasserkraftwerk von einer albanischen Tochterfirma eines norwegischen Unternehmens gebaut und betrieben wird. Schön und gut, änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass, um auf die Höhe des Wasserspiegels des Stausees zu gelangen, einige Höhenmeter zu überwinden waren. Doch damit nicht genug: direkt am Stausee führte keine Straße entlang. Stattdessen konnte Leon die unzähligen Serpentinen, die nun auf ihn zu kamen, schon sehen. Erschreckenderweise gab es kaum Bäume und die Sonne stand bereits so hoch am Himmel, dass auch der Berg keinen Schatten mehr spendete. Es half alles nichts. Selbst nach mehrfachem ausgiebigen Anschauen des Höhenprofils auf Komoot wurde der Berg vor ihm nicht kleiner. Es gab nur einen Weg – und dieser führte nun mal wieder bergauf.
Leon musste immer wieder anhalten, nicht weil ihm die Luft ausging oder die Kraft in den Beinen fehlte, sondern weil es einfach zu heiß war und er sich abkühlen musste. Mit einem feuchten Lappen im Nacken und getragen von dem Gedanken, dass er alles, was er hochfahren würde, auch wieder herunterfahren würde, schaffte er es schließlich bis ganz nach oben. Eigentlich hatte er vorgehabt, dort eine Rast zu machen. Leider gab es oben ebenfalls kein schattiges Plätzchen, wo er sich hätte niederlassen können. Er machte also keine Pause, sondern hoffte, auf der Abfahrt würde sich schon irgendwo ein Plätzchen finden. Am Ende der fairerweise sehr angenehmen Abfahrt fand er endlich beim Ortseingang eines kleinen Dorfes eine Bank. Sie war nicht besonders schön, dafür zweckmäßig. Es musste reichen. Er stärkte sich an den wilden Kirschen, die an einem Baum direkt neben der Bank hingen. Außerdem hatte er noch den Börek vom Vortag dabei. Dieser wurde ebenfalls verspeist.
Bald musste es dann auch wieder losgehen. Natürlich nicht weiter bergab, sondern wieder bergauf. Auf dem Weg nach oben gab es am Straßenrand zum Glück einige Brunnen, die aus kleinen Quellen gespeist wurden. Immer wieder hielt er an, um kühles Wasser aufzufüllen und Gesicht, Nacken und Arme abzukühlen. Aber auch diese Steigung war irgendwann bezwungen und er durfte die Serpentinen auf der anderen Seite des Bergs wieder herunterfahren.
Sie führten hinab bis zum Fluss. Dort schien es, als sei der Zuständigkeitsbereich des norwegischen Unternehmens beziehungsweise dessen albanischen Tochterunternehmens zu Ende gewesen, denn die zuvor gut asphaltierte Straße endete abrupt und wich einer Schotterpiste. Weit und breit keine andere Straße zu sehen, also fiel die Entscheidung leicht. Der Zustand der Straße blieb für weitere 5 km ähnlich (schlecht). Immerhin spendeten die Berge rechts und links allmählich wieder Schatten. Außerdem wachsen im Tal auch ein paar Bäume, die ebenfalls für etwas Schatten sorgten.
Nach 5 km erreichte Leon in ein kleines Dorf mit kleinen Cafés und Lebensmittelläden. Er gönnte sich eine Banane und eine Cola, die er im Schatten zu sich nahm. Nach der kurzen Pause ging es weiter auf einer zwar immerhin geteerten, aber dafür mit Schlaglöchern übersäten Straße.
Maliq war die erste größere Stadt auf dem Weg. Dort wollte er sich alle Zutaten für das Mittagessen besorgen. Leider war nirgendwo Kartenzahlung möglich und Leon hatte noch immer kaum Bargeld. Eine Cola im Schatten musste reichen. Nächstes Ziel war dann der Ohrid-See nördlich von Maliq. Ihn konnte man lediglich über die viel befahrene Landstraße erreichen. Landstraßen haben jedoch seit Kroatien ihren Schrecken verloren. Fast alle Autofahrer halten seitdem genügend Abstand beim Überholen.
Am Straßenrand wurden an kleinen Ständen immer wieder Kirschen angeboten. Bei einem der Stände griff Leon zu und kaufte einen halben Kilo Kirschen für 0,50 €. Die Kirchen verzehrte er in einer Bauruine, in der er – geschützt vor der Sonne – für ein Stündchen ein Nickerchen machte.
Nach dem Nickerchen hatte die Sonne endlich an Kraft verloren und die letzten Kilometer zum See, und damit auch zur Grenze, konnten angetreten werden. Die zwei kleinen Steigungen auf dem Weg kamen ihm im Vergleich zum Morgen lächerlich vor. Hinter der zweiten Steigung konnte er bereits den Ohrid-See sehen. In der Stadt Progradec ging er Einkaufen. Endlich konnte er mit Karte zahlen! Es hätte sich nicht gelohnt, noch einmal Bargeld abzuheben: Die Grenze nach Nordmazedonien sollte noch an diesem Tag überquert werden.
Nach dem Einkauf verzehrte er einen kleinen Snack an der Promenade, während über dem See die Sonne unterging.
Dann machte er sich auf dem Weg zum Grenzübergang.
Gleich hinter der Grenze hat er ein Feriengebiet ausfindig gemacht, in dessen Nähe er übernachten wollte. Dort angekommen erkundigte er sich zunächst, ob das Campen dort auf dem Parkplatz denn gestattet sei. Die Antwort lautete ja. Leider fand sich auf dem Parkplatz keine besonders schöne Möglichkeit zum Lagern. Er fuhr also ein paar 100 m zurück und ließ sich in einem Apfelhain nieder. Er war so müde, dass er ernsthaft darüber nachdachte, einfach ohne Abendessen schlafen zu gehen. Mit Blick auf den nächsten Tag entschied er aber, doch noch etwas zu kochen. Nach dem Kochen schaffte er es jedoch nicht mehr, auch noch das Geschirr abzuspülen, sondern bewegte sich sofort in seine Hängematte. Wie auch schon am Tag zuvor hatte er überhaupt keinen Spaß mit seinem Hals. Er traf den Entschluss, am morgigen Tag in Ohrid abermals zum Arzt zu gehen.
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